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Weltmusik 2.0? – 5. Netzwerktreffen Interkultur Ruhr

Uwalmassa Characters

Weltmusik 2.0? – 5. Netzwerktreffen Interkultur Ruhr

von: 
Kieran Kaul

Der Begriff Weltmusik sorgt von jeher für Kontroversen und ist Gegenstand unterschiedlichster Debatten und teils hitzig geführter Diskussionen. Erstmalig verwendet haben soll ihn der deutsche Musiktheoretiker Georg Kapellen 1906, um einerseits das Nebeneinander verschiedener Musikkulturen und dabei stattfindende Beeinflussungen und Synthesen zu benennen, um andererseits aber auch die Perspektive einer „exotischen“ Weiterentwicklung der europäischen Kunstmusik durch „Vermählung von Orient und Okzident“ zu eröffnen. Dem folgten weitere Zuschreibungen aus dem akademischen Umfeld der 1960er und 70er Jahre (vor allem aus den USA und Großbritannien), bevor der Begriff in den 80er Jahren auch im popkulturellen und damit kommerziellen Kontext Verwendung fand, um zumeist aus dem globalen Süden stammende, mehr oder weniger „traditionelle“ Musik unter dem Begriff „Weltmusik“ zu vereinen.

Obwohl dieses Label höchst unscharf blieb, eignete es sich bestens, um beim europäischen und amerikanischen Publikum, das sich nach der „Fremde“ sehnte, hohe Absatzzahlen zu erzielen. Diese Begeisterung für „das Exotische“ in verschiedensten Ausprägungen war bereits seit den 1970er Jahren mit einer weitverbreiteten Affinität für Spiritualität und Esoterik im Rahmen der „New Age“-Bewegung einhergegangen. In den 90er Jahren erlebte der Weltmusik-Markt dann schließlich seinen vorläufigen Höhepunkt und neben schwarzen Zahlen in den Geschäftsbüchern ist auch die Entstehung neuer Radioprogramme wie beispielsweise Funkhaus Europa 1998 (heute Cosmo) zu verzeichnen gewesen.

Dass ein eurozentrisch/westlich geprägter Begriff, der größtenteils außereuropäische Musik labelt, schon früh zum Ausgangspunkt und Gegenstand verschiedener Debatten wurde, scheint offensichtlich und nachvollziehbar. So wurden häufig gerade die ungleiche Bezahlung weißer und nicht weißer Musiker bemängelt sowie die Ungleichheit der Produktionsbedingungen und Produktionsmittel. Darüber hinaus stellt die Entscheidungs- und Deutungshoheit vorwiegend weißer Label- und Magazinchefs, gewollt oder ungewollt, ebenfalls die Fortschreibung kolonialer Muster dar. Auch der Vorwurf der kulturellen Aneignung wird in diesem Zusammenhang häufig zurecht thematisiert und von Kritiker*innen vielfach als problematisch und zumindest potentiell ausbeuterisch aufgefasst.

Im Zuge des digitalen Zeitalters und damit einhergehender demokratisierender Potentiale gewisser Medienbereiche wie etwa Blogs und Online-Musikplattformen hat sich eine neue Riege von Musiker*innen gebildet, die ihre Musik nun selbstständig im Netz präsentieren kann und nicht zwangsläufig auf die alten Strukturen des ohnehin schwächelnden Absatzmarktes zurückgreifen muss. Längst haben sich dort unter anderem neue afrofuturistische Stile etabliert, die ihre Spuren ebenso im Mainstream wie im Underground hinterlassen haben und so zur Schaffung neuer, zukunftsweisender Sounds beitragen. Viele der daran beteiligten Akteure sind nach wie vor in gewisser Weise abhängig von westlichen Förderstrukturen oder privaten Veranstalter*innen und bestreiten auch ihre Auftritte vorrangig in Europa, den USA oder anderen wohlhabenden Zentren. Dies wirft weiterhin die Frage nach der real stattgefundenen Emanzipation des „Global South“ auf, zumal kapitalistische oder auch paternalistische Strukturen neokolonialistischer Art bekanntlich längst nicht nur auf den Musikmarkt beschränkt sind.

Das „5. Netzwerktreffen Interkultur Ruhr: Weltmusik 2.0“ soll als Austausch- und Diskussionsplattform dienen, um dieser und weiterer Fragen vor dem Hintergrund von Trans- und Interkulturalität nachzugehen sowie um aktuelle Rezeptionsmuster und Vermarktungs- und Förderpraktiken kritisch zu hinterfragen. Weltmusik stellte lange Zeit überwiegend ein interkulturelles Phänomen dar, das, wohl oder übel, an das skizzierte Machtgefälle zwischen Nord und Süd gebunden blieb. Durch die mediale Entwicklung und vor dem Hintergrund transkontinentaler Migrationsbewegungen entstehen vermehrt Chancen zur künstlerischen, ökonomischen und politischen Selbstermächtigung, die mit transkulturellen Entgrenzungen einhergehen kann. Durchaus widersprüchliche Phänomene dieser Art beschäftigen Sozialwissenschaftler*innen, Künstler*Innen, Förderer, Journalisten und interessierte Zuhörer*Innen, die am Konzept einer „Weltmusik 2.0“ interessiert sind oder diesem kritisch gegenüberstehen und am regen Diskurs teilnehmen können.

 

5. Netzwerktreffen Interkultur Ruhr: Weltmusik 2.0
23.11.2017 ab 18 Uhr
Katakomben-Theater Essen

Talks mit: Mark Ernestus (Ndagga), Bernd Friedmann (Nonplace), Stefan Schneider (TAL), Florian Meyer (DISK), Avril Ceballos (CÓMEME), Philipp Rhensius (Norient), Jonas Eickhoff (IfS & IfE), Kieran Kaul (KHM) – Christian Esch (NRWKS), Uri Bülbül (Katakomben-Theater), Bertram Frewer (Kulturbüro Bochum), Elke Moltrecht (Akademie der Künste der Welt & Ensemble Extrakte), Claudia Saerbeck (Ringlokschuppen Ruhr), Glaucia Peres da Silva (Universität Duisburg-Essen)

Catering: Refugees’ Kitchen

Konzerte: Transaesthetics-Project feat. Utku Yurttaş & Nehrin Kurt, Uwalmassa

 

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5. Netzwerktreffen Interkultur Ruhr: Weltmusik 2.0
Bildausschnitt aus der Veröffentlichung „Don’t DJ – Authentic Exoticism“ von Florian Meyer (alias Don’t DJ)
Interkultur Ruhr Listening Session mit Ernesto Chahoud und Jannis Stürtz
Interkultur Ruhr Floor mit Africaine 808, Ritournelle / Refektorium Stage 2017
Transaesthetics-Project
Uwalmassa
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