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FOR THE RECORD #2: Habibi Funk

FOR THE RECORD #2: Jannis Stürtz

FOR THE RECORD #2: Habibi Funk

von: 
Guy Dermosessian & Eva Busch

OFF THE RECORD ist eine Reihe von Listening Sessions, die sich mit globalen, außereuropäischen Musik- und Subkulturen auseinandersetzt. Sie ist 2017 aus einer Initiative von Interkultur Ruhr, Kalakuta Soul Records und der Labelmanagerin und Residentin im Programm von Interkultur Ruhr Avril Ceballos (Cómeme) hervorgegangen und wird in Kooperation mit dem atelier automatique fortgeführt.

Unter dem Titel FOR THE RECORD stellen Guy Dermosessian (Kalakuta Soul Records) und Eva Busch (atelier automatique) die Gastmusiker*innen und -DJs mit Interviews und fantastischen Mixtapes persönlich und musikalisch vor.

Die thematische Bandbreite der Veranstaltungsreihe reicht von der Sichtbarmachung vergessener oder marginalisierter Stimmen der Musikgeschichte bis hin zur Diskussion aktueller popkultureller Phänomene. Dabei spielt eine kritische Sensibilität für die sozialen und politischen Rahmungen dieser Entwicklungen eine große Rolle, vor allem in Hinblick auf die historischen Dimensionen postkolonialer gesellschaftlicher Verfasstheiten und zeitgenössischer Deutungshoheiten, Verwertungs- und Ausbeutungslogiken im Musikbereich.

Jannis Stürtz, Gründer des Labels Habibi Funk Records, war am 24. März 2017 zusammen mit Ernesto Chahoud bei OFF THE RECORD / Listening Session #1 in der Goldkante Bochum zu Gast, wo es unter anderem um Jazz, arabische und äthiopische Musik ging. Exklusiv für diesen Beitrag hat er einen speziellen Mix produziert:

Fangen wir das Gespräch mit dem an, was uns zuerst vereint hat – Musik. Wie würdest du die Musik beschreiben, die du spielst und mit anderen teilst? Wie hat sie sich über die Jahre entwickelt?

Ich werde als DJ eingeladen, Platten aufzulegen, weil ich ein Plattenlabel namens Habibi Funk betreibe. Beim Label liegt der Fokus darauf, Musik aus dem „arabischen Raum“ wieder zu veröffentlichen. Die Sounds des Labels sind breit gefächert, aber normalerweise interessieren wir uns für die Musik, bei der Künstler*innen lokale Musikeinflüsse mit Einflüssen von außerhalb vereinen. Diese Art von Kombination findet sich auch in meinen DJ-Sets wieder. Ich spiele nicht nur die Musik, die vom Label veröffentlicht wird, weil sie nicht immer tanztauglich ist. Ich suche auch gerne nach Kombinationen von Sounds aus der ganzen Welt. Mir fällt es nicht schwer, von einem brasilianischen Samba-Track zu einem marokkanischen Gnawa-Track zu wechseln.

Die Musik, die ich auflege, hat sich über die Jahre auf jeden Fall weiterentwickelt. Manche Tracks habe ich immer in meiner Plattentasche, weil sie eng mit dem Label verknüpft sind, aber ich versuche immer nach neuen Sounds zu suchen, um mich selber oder Leute, die schonmal ein Set von mir gesehen haben, nicht zu langweilen, indem ich immer dieselben Lieder spiele.

Du siehst dich als DJ. Was bedeutet das für dich? Wie fing es an? Was machst du? Was ist die Absicht hinter dem, was du tust? Was macht es für dich zu etwas besonderem?

Ich bin nur durch Zufall zum DJing gekommen, und das relativ spät. Ungefähr ein Jahr nachdem wir unser Label Habibi Funk gestartet haben, kamen Leute aktiv auf mich zu, um zu fragen, ob ich Interesse daran hätte, einige dieser Lieder im Club-Kontext zu spielen. Das macht mir echt Spaß, besonders weil dabei tolle Synergien entstehen. Es hilft dabei, mit Menschen in Kontakt zu treten, die Musik zu promoten, die wir auf dem Label veröffentlichen und Orte zu sehen, die ich sonst wahrscheinlich nicht gesehen hätte. Ich spiele auch viel im Mittleren Osten und in Nordafrika, was mir ermöglicht, nach neuen Platten zu suchen, zu recherchieren und alte Musiker*innen zu treffen, während ich als DJ bezahlt werde.

Es ist ein großes Privileg, in der Lage zu sein, die Musik, die man mag und mit der man arbeitet, einem größeren Publikum vorzustellen. Gleichzeitig bin ich froh, dass ich nicht nur als DJ arbeite. Wenn du als DJ keine elektronische Musik spielst, sind deine Möglichkeiten bekannt zu werden, begrenzt; die Karrieren von DJs entwickeln sich oft in Wellen. Nur das DJing als Einkommensquelle zu haben, sorgt für einen ökonomischen Druck, der deine Musikauswahl potenziell verschlechtern kann. Aber wenn du daneben ein Label betreiben kannst, ist es ein besonderer und geschätzter Nebenjob.

Inwiefern reagiert deine Arbeit auf bestehende und hegemoniale Gewohnheiten des Musikhörens und -konsums?

Nun, was ich spiele ist keine aktive Reaktion oder ein Statement in Bezug auf hegemoniale Hörgewohnheiten. Das Label ist auch kein politisches Statement. Was mich als Musiklabel-Betreiber, der auch vor einem Publikum Platten spielt, motiviert, ist Musik, bei der ich denke, dass sie Leuten gefallen könnte, einem möglichen Publikum vorstellen zu dürfen. Die Auswahl entspricht meinem Musikgeschmack, der tatsächlich anders ist als was wir normalerweise im Club-Kontext hören würden. Letztendlich hat ein großer Teil unserer Arbeit eine politische Assoziation, die wichtig ist, aber sie macht keine strategische Aussage über Hör- und Konsummuster, sondern kommt von der Musik, die ich zufällig mag und der ich meine Arbeit widme.

Wie stellst du dir einen Ort vor, an dem Leute zusammenkommen und Musik zelebrieren können? Gab es oder gibt es Orte, an denen du diese Vision erlebst oder erlebt hast? Was macht diese Orte besonders? Gib uns gerne konkrete Beispiele...

Ich organisiere fast nie Veranstaltungen und verbringe selten vor oder nach meinen DJ-Gigs Zeit dort, deswegen denke ich, dass meine Wahrnehmung von einem Ort eher begrenzt ist. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass diese Orte sich bemühen, für alle so zugänglich wie möglich zu sein. Das muss aus vielen Perspektiven getan werden. Es sollte schon bei der Werbung für die Veranstaltung anfangen, die ohne die Reproduktion von stereotypischen Narrativen und sichtbarer Repräsentation funktionieren sollte, mit den Einlasskriterien (dieses Jahr habe ich einen Gig eine Stunde vorm Auftritt abgesagt, weil sie diskriminierende Einlasskriterien hatten), den Preisen und viel mehr.

Wenn du mich nach besonderen Orten fragst, ist es schwer die Frage nur anhand von den oben genannten Rahmenbedingungen zu beantworten, denn wie du die Nacht als DJ erlebst, hängt hauptsächlich von den Leuten am Ort ab und wie du mit ihnen interagierst, aber nicht unbedingt von dem Ort an sich. Ich denke, dass der Ort wichtig ist, um einen Rahmen zu schaffen, aber letztendlich sind es die Leute an diesem Ort, die diese Nächte für mich zu etwas besonderem machen. Mir ist aber auch klar, dass es von diesem Rahmen abhängig ist, welche Leute diesen Ort ansprechend finden; dementsprechend gibt es einen starken Zusammenhang zwischen dem Ort und den Interaktionen, die an dem Abend stattfinden.

Welche Rolle spielt das Zuhören in deiner Arbeit? Wie wird das Zuhören wertschätzend? Aus deiner Sicht und der des Publikums und generell im Alltag? Wo platzierst du die Veranstaltung „OFF THE RECORD“ im Vergleich zu anderen Kulturen des Zuhörens?

Ich bin mir nicht sicher, ob mir das Konzept des wertschätzenden Zuhörens bekannt ist. Allerdings ist das Musikhören im klassischen Sinne für meine Arbeit sehr wichtig. Es mag unwichtig klingen, aber wenn es um arabische Musik geht, bin ich ein Gast. Ich bin nicht mit dieser Art von Musik aufgewachsen und kann also nicht auf ein mentales Archiv aus Liedern, Sounds und Referenzen zurückgreifen, wenn ich versuche, mehr über die Musik eines bestimmten Landes oder Zeitalters zu erfahren. Bevor ich überhaupt an dem Punkt ankomme, wo ich von bestimmten Künstler*innen und Genres erfahre, muss ich stundenlang Musik hören. Das heißt, dass ich z.B. Zeit in einem Plattenladen in der MENA-Region verbringe oder mich auf Youtube durch die beliebigen Empfehlungen neben den Videos klicke. Sowas mache ich heutzutage noch. Wenn du aufhörst Musik zu hören – hören im Sinne von sich aktiv etwas anzuhören, was man noch nicht kennt – stagnierst du meiner Meinung nach als DJ, und für mich (als Teil des Publikums) gibt es nichts Langweiligeres, als ein DJ, der in seinem Sound feststeckt.  

Welche Erinnerung von der Veranstaltung „OFF THE RECORD“ möchtest Du mit uns teilen?

Mir gefällt der Gedanke, Vorträge und Partys zu kombinieren. Es ist schön, wenn Musik im Club-Kontext genossen wird, aber was mich genauso interessiert, sind die Herangehensweisen und Arbeiten der Künstler*innen, die präsentiert werden. Beides an einem Abend zu kombinieren ist eine super Mischung.

Welche Gedanken stecken hinter der Auswahl, die du in deinem Set aufgenommen hast?

Bei mir ist es einfach so, dass ich meine Platten und Ordner digitalisierter Musik durchgehe und versuche, einen etwas anderen Mix zu erstellen. Seit Corona erhalte ich ungefähr 5 Anfragen pro Woche für Mixe, ich habe nur ein paar gemacht, aber ich muss immer tiefer in meine Sammlung greifen, damit ich mich nicht wiederhole. Gleichzeitig habe ich einen großen Teil der Lieder im Mix erst in den vielen Freizeitstunden des Lockdowns gefunden. Es ist quasi ein mit Corona verwandter Mix. Hahah.

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// Biografie

Jannis Stürtz ist Mitbegründer des Independent Labels Jakarta Records, das sich seit 2005 musikalisch auf Hip-Hop mit Jazz- und Soul-Einflüssen konzentriert und in Köln und Berlin ansässig ist. 2015 gründete er das Sublabel Habibi Funk Records, mit dem er Raritäten arabischer Funk-Musik aus den 1960er – 1980er Jahren wiederveröffentlicht, die er auf zahlreichen Maghreb-Reisen ausgegraben hat.

habibifunkrecords.bandcamp.com
facebook.com/jakartarecords
facebook.com/habibifunk

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Weitere Folgen:

FOR THE RECORD #1: Ernesto Chahoud

FOR THE RECORD #3: Esa Williams

Jannis Stürtz. Foto: Fabian Brennende
Jannis Stürtz. Foto: Fabian Brennende
Jannis Stürtz bei OFF THE RECORD #1, Listening Session in der Goldkante, Bochum 2017. Foto: Guido Meincke
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